Chaos & Ordnung

In der amerikanischen Rechten ist es heutzutage üblich Männer mit der Ordnung und Frauen mit dem Chaos zu assoziieren1. Es scheint wenig verwunderlich, dass sich eine Bewegung, welche sich hauptsächlich an Männer wendet, diese mit dem positiveren geprägten Begriff der beiden Antonyme verbindet. Beiden Geschlechtern werden beide Eigenschaften zuerkannt, aber während beim Mann die Ordnung überwiegen soll, soll es bei der Frau das Chaos sein. Dass es sich hierbei um Generalisierungen handelt und Abweichungen immer dazugehören sollte nicht betont werden müssen. Ich habe mit dieser Einordnung zwei Probleme. Erstens, dass Männer ordnungsliebender sein sollen als Frauen und zweitens, dass das chaotische Element weniger wert sein soll, als das ordnende.

Um dies genauer zu betrachten mögen wir die beiden Seiten erst einmal detaillierter betrachten. Auf der einen Seite haben wir die Ordnung, die Harmonie, die Geradlinigkeit, die Klarheit, den Logos und das Begrenzte. Auf der anderen Seite das Chaos, die Unordnung, das Wilde, das Emotionale, den Eros, das Stürmische und Unbegrenzte. Beide sind Antipoden, aber sie benötigen auch einander. Das Seiende, Zerstörende und Schaffende ist ein Dreiklang. Die Ordnung, das Alltägliche, was sich in den kleine Zügen des Lebens widerspiegelt ist die Grundlage für das Chaos, welches einen in den Bann zieht um übermenschliches zu erreichen. Ohne die Ausflüchte aus der Ordnung äußert bieder. Eine wohldosierte Menge Chaos gibt uns die Lebenslust das normale Leben zu überstehen. Es ist diese Ausflucht, die uns die Zeit dazwischen überstehen lässt. Il faut imaginer Sisyphe heureux.2

Gleichsam ist aber auch die Ordnung eine notwendige Voraussetzung um das Chaos zu ertragen. Ohne etwas gegen das man aufbegehren kann, bleibt die Regung sinnlos. Reines Chaos verschlingt sich selbst, bis am Ende nichts mehr übrig bleibt. Wir sind nicht in der Lage dauerhaft unkonstant zu leben. Es sind die Gewohnheiten und die repetitiven Handlungen des Lebens die es uns erlauben aus dem Normalzustand auszubrechen.

Werfen wir dazu einen Blick ins mythisch-antike Griechenland3, wo die Götter Apollon, Pan und Dionysos exemplarisch die Dualität und das Wechselspiel von Ordnung und Chaos verkörpern. In der griechischen Mythologie stehen diese Götter nicht nur für gegensätzliche Prinzipien, sondern auch für deren unauflösliche Verbindung. Apollon, der Gott des Lichts, der Künste und der Vernunft, verkörpert die absolute Ordnung: Harmonie, Klarheit und Maß. Sein Einfluss strebt nach Kontrolle und Vollendung. Er leitet die Musen, inspiriert zur Dichtkunst und symbolisiert die ewige Suche nach Schönheit und Wahrheit. Dionysos hingegen, der Gott des Weins, der Ekstase und des Rausches, repräsentiert das Chaos: Entgrenzung, Transformation und Auflösung von bestehenden Strukturen. Er zelebriert den Rausch als eine Form der Befreiung und stellt die Kontrolle infrage. Sein ekstatischer Kult zeigt, dass das Chaos nicht nur destruktiv, sondern auch schöpferisch und lebensbejahend sein kann. Dionysos lehrt, dass das Leben nicht nur in der Ordnung, sondern auch in der Hingabe an das Unberechenbare seine Erfüllung findet. Pan, der wilde Gott der Natur und der Instinkte, dient als Bindeglied zwischen diesen beiden Extremen. Er steht für die rohe, ungezähmte Natur und verkörpert das Zusammenspiel von Ordnung und Chaos in ihrer ursprünglichsten Form. Pan ist weder völlig chaotisch noch vollkommen geordnet. Er zeigt, dass beide Kräfte in der Natur – und im Menschen – koexistieren müssen, um das Leben zu ermöglichen.

Diese griechischen Mythen offenbaren eine tiefere Wahrheit: Ordnung und Chaos sind keine Gegensätze, bei denen das eine über das andere siegen muss. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Griechen erkannten, dass das Leben nur durch das Gleichgewicht beider Prinzipien gelingen kann. So wie Apollon und Dionysos abwechselnd herrschten, so braucht es in jedem Menschen sowohl die Struktur der Ordnung als auch die Lebendigkeit des Chaos.

Um einen Bogen zurück zum Anfang zu schlagen: Die Gleichsetzung von Männern mit Ordnung und Frauen mit Chaos greift zu kurz. Die griechische Mythologie zeigt, dass Ordnung ohne Chaos leblos wird und Chaos ohne Ordnung in Bedeutungslosigkeit versinkt. Männer wie Frauen tragen beide Prinzipien in sich, und weder das eine noch das andere ist an sich überlegen. Statt Chaos abzuwerten, sollte es als lebensnotwendige Kraft verstanden werden – eine Kraft, die die starre Struktur aufbricht und Raum für Erneuerung schafft. Ebenso braucht das Chaos die Ordnung, um nicht in reiner Destruktion zu enden. Ein ausgeglichenes Leben, so lehren uns Apollon, Pan und Dionysos, entsteht erst, wenn wir beide Kräfte in uns anerkennen und miteinander in Einklang bringen. Das wahre Ziel ist nicht die Überlegenheit des einen Prinzips, sondern das harmonische Zusammenspiel von Ordnung und Chaos – in uns allen.


  1. 12 Rules for Life, Jordan Peterson ↩︎
  2. „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Der Mythos des Sisyphos, Albert Camus ↩︎
  3. Griechische Mythen, Friedrich Georg Jünger ↩︎

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