Durch ein Interview von Tucker Carlson mit dem Historiker Darryl Cooper ist gerade eine Debatte über die schlechten Menschen im zweiten Weltkrieg entfacht. Dabei ist das Interessante nicht, wie wir die verschiedenen Seiten beurteilen, sondern welche Gründe es für eine stark moralische Bewertung gibt. Denn und insoweit muss man ihm zustimmen, es gibt in unserer heutigen Geschichtserzählung und Bewertung einige Ereignisse und Zeitabschnitte, über die nicht nuanciert diskutiert wird, sondern die einer mythisch-ideologischen Moralisierung unterliegen, die (zumindest öffentlich) nicht in Frage gestellt werden darf. Über die Ursachen und Gründe dieser Aura möchte ich ein paar Gedanken teilen.
(Kurzer Einschub meiner Meinung: Die deutsche Außenpolitik scheint bis zum Wiener Schiedsspruch der Zeit nicht unangemessen. Wer sie darüberhinaus oder die Innenpolitik rechtfertigt ist offensichtlich ein ideologischer Hitlerapologet. Britannien hätte das Friedensangebot 1940 annehmen können, aber weder war es für die britischen Interessen je verhandelbar, dass es keinen Kontinentalhegemon geben darf, noch wäre es mutmaßlich für Britannien nach dem Krieg besser ausgegangen, als der Niedergang in unserer Zeitlinie)
Die Frage die sich stellt ist, ob diese Mystifizierung bestimmter Geschichtsepochen und die moralische Aufladung von verschiedenen Seiten, also der klaren Unterscheidung in Gut und Böse, gegenüber einen nuancierteren Betrachtungsweise eher positiv oder negativ ist. Bei näherer Betrachtung der historischen Bewertung wird deutlich, dass wir die Moralität von Handlungen umso strikter beurteilen je weiter der Grad an Zivilisation fortgeschritten war. Fürwahr die persönlich-direkte Brutalität verurteilen wir relativ unabhängig von der Zeit, aber kaum einer klagt heute Caesar für seine Völkermorde in Gallien an. Diese kriegerische Brutalität wird als Produkt seiner Zeit meist kommentarlos hingenommen. Viel wichtiger erscheint aber noch, dass jüngere Ereignisse oft gewisse staatstragende Funktionen erfüllen, die über eine rein historische Betrachtungsweise weit hinausgehen.
Die Beurteilung der alliierten Seite im zweiten Weltkrieg stellt ganz offensichtlich einen solchen Mythos dar. In erster Linie haben die Staaten für Eigeninteressen und insbesondere die Interessen der Herrschenden gekämpft, in vielen Fällen Verbrechen gegen Menschen und die Menschlichkeit verübt und gezielt Zivilisten vernichtet. Die Alliierten haben alles andere als eine weiße Weste. Doch gibt es einige gute Argumente, für die einseitige (positive) moralische Beurteilung.
In seinem Opus Magnum schreibt Platon von der noblen Lüge. Eine solche sei ein Mythos oder eine Lüge, die wissentlich von einer Elite verbreitet wird, um die soziale Harmonie aufrechtzuerhalten. „Wie können wir uns dann eine dieser notwendigen Unwahrheiten ausdenken, von denen wir kürzlich gesprochen haben – nur eine königliche Lüge, die die Herrscher, wenn das möglich ist, und zumindest den Rest der Stadt täuschen könnte?“1 Sokrates schlägt vor und behauptet, dass, wenn die Menschen „an diesen Mythos glauben würden, … er eine gute Wirkung hätte und sie [die einfachen Bürger] geneigter machen würde, sich um den Staat und einander zu kümmern.“2
Wir müssen bei nuancierten Bewertungen immer im Blick behalten, dass die Hälfte unserer Mitbürger unterdurchschnittlich intelligent ist.3 Menschen sind durch selektive Informationen sehr leicht zu manipulieren, insbesondere wenn sie keinen sonderlichen Fokus auf das Thema legen. Wenn wir also das Tabu über „Alliierte Gut“ aufheben würden, könnte das zu einer Aufwertung des Nationalsozialismus in den Köpfen vieler führen, da dieser nun verhältnismäßig besser dargestellt wird. In einer staatlichen Gemeinschaft, die sich klar auf ihr westliches Fundament stützt und die Ideologie des Nationalsozialismus klar ablehnt, ist aber die Verbreitung der Meinung, dass dieser „das Böse“ repräsentiert, von elementarer Bedeutung für die Systemstabilität.
Dies birgt durchaus auch Risiken. So kann eine zulange Verleugnung der realen Umstände zur Unglaubwürdigkeit und Aushöhlung der historischen Bilder führen, wenn sich die öffentliche Moral ändert. Eine Diskussion darüber sollte in geeigneten Kreisen immer wieder geführt werden. Aber das große Aufbrausen darüber, was man nicht dürfe (man darf, es will nur keiner hören oder was mit der Person zu tun haben) erinnert doch eher an ein kleines Kind, welches seine Geschwister darüber aufklärt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Nur, dass die Konsequenzen größer sein können, als ein paar Tränen.