Ernst Jünger: Der Kampf als inneres Erlebnis Einleitung

Zuweilen erstrahlt an den Horizonten des Geistes ein neues Gestirn, das die Augen der Rastlosen trifft, Verkündigung und Sturmsignal einer Weltwende wie einst den Königen aus dem Morgenlande. Dann ertrinken die Sterne ringsum in feuriger Glut, Götzenbilder splittern zu irdenen Scherben, und wieder einmal schmilzt alle geprägte Form in tausend Hochöfen, um zu neuen Werten gegossen zu werden.

Die Wellen solcher Zeit umbranden uns von allen Seiten. Hirn, Gesellschaft, Staat, Gott, Kunst, Eros, Moral: Zerfall, Gärung – Auferstehung? Noch flirren rastlos die Bilder vorüber, noch wirbeln die Atome in den Siedekesseln der Großstadt. Und doch wird auch dieser Sturm zerflattern, auch dieser Glutstrom zu Ordnung erkalten. Noch zerschellte jede Raserei an grauem Gemäuer, oder es fand sich einer, der sie mit stählerner Faust vor seinen Wagen spannte.

Warum ist gerade unsere Zeit an Kräften, vernichtenden und zeugenden, so überreich? Warum trägt gerade sie so ungeheure Verheißung im Schoß? Denn mag auch vieles unter Fiebern sterben, so braut zu gleicher Zeit die gleiche Flamme Zukünftiges und Wunderbares in tausend Retorten. Das zeigt ein Gang auf die Straße, ein Blick in die Zeitung, allen Propheten zum Trotz.

Der Krieg ist es, der die Menschen und ihre Zeiten zu dem machte, was sie sind. Ein Geschlecht wie das unsere ist noch nie in die Arena der Erde geschritten, um unter sich die Macht über sein Zeitalter auszuringen. Denn noch nie trat eine Generation aus einem Tore so dunkel und gewaltig wie aus dem dieses Krieges in das lichte Leben zurück. Und das können wir nicht leugnen, so gern mancher wohl möchte: Der Krieg, aller Dinge Vater, ist auch der unsere; er hat uns gehämmert, gemeißelt und gehärtet zu dem, was wir sind. Und immer, solange des Lebens schwingendes Rad noch in uns kreist, wird dieser Krieg die Achse sein, um die es schwirrt. Er hat uns erzogen zum Kampf, und Kämpfer werden wir bleiben, solange wir sind. Wohl ist er gestorben, sind seine Schlachtfelder verlassen und verrufen wie Folterkammer und Galgenberg, doch sein Geist ist in seine Fronknechte gezogen und läßt sie nie aus seinem Dienst. Und ist er in uns, so ist er überall, denn wir formen die Welt, nicht anders, Anschauende im schöpferischsten Sinne. Hört ihr nicht, wie er aus tausend Städten brüllt, wie rings Gewitter uns umtürmen wie damals, als der Ring der Schlachten uns umschloß? Seht ihr nicht, wie seine Flamme aus den Augen jedes Einzelnen glüht? Manchmal wohl schläft er, doch wenn die Erde bebt, entspritzt er kochend allen Vulkanen.

Indes: Nicht nur unser Vater ist der Krieg, auch unser Sohn. Wir haben ihn gezeugt und er uns. Gehämmerte und Gemeißelte sind wir, aber auch solche, die den Hammer schwingen, den Meißel führen, Schmiede und sprühender Stahl zugleich, Märtyrer eigener Tat, von Trieben Getriebene.

Im Schoße versponnener Kultur lebten wir zusammen, enger als Menschen zuvor, in Geschäfte und Lüste zersplittert, durch schimmernde Plätze und Untergrundschächte sausend, in Cafe´s vom Glanze der Spiegel umstellt, Straßen, Bänder farbigen Lichtes, Bars voll schillernder Liköre, Konferenztische und letzter Schrei, jede Stunde eine Neuigkeit, jeden Tag ein gelöstes Problem, jede Woche eine Sensation, eine große überdröhnte Unzufriedenheit am Grund. Technisch noch produktiv, standen wir mit Ben-Akiba-Lächeln am Ende der Kunst, hatten die Welträtsel gelöst oder glaubten uns auf dem besten Wege dazu. Der Kristallisationspunkt war schier erreicht, der Übermensch nahe herbeigekommen.

So lebten wir dahin und waren stolz darauf. Als Söhnen einer vom Stoffe berauschten Zeit schienen Fortschritt uns Vollendung, die Maschine der Gottähnlichkeit Schlüssel, Fernrohr und Mikroskop Organe der Erkenntnis. Doch unter immer glänzender polierter Schale, unter allen Gewändern, mit denen wir uns wie Zauberkünstler behängten, blieben wir nackt und roh wie die Menschen des Waldes und der Steppe.

Das zeigte sich, als der Krieg die Gemeinschaft Europas zerriß, als wir hinter Fahnen und Symbolen, über die mancher längst ungläubig gelächelt, uns gegenübertraten zu uralter Entscheidung. Da entschädigte sich der Mensch in rauschender Orgie für alles Versäumte. Da wurden seine Triebe, zu lange schon durch die Gesellschaft und ihre Gesetze gedämmt, wieder das Einzige und Heilige und die letzte Vernunft. Und alles, was das Hirn im Laufe der Jahrhunderte in immer schärfere Formen gestaltet hatte, diente nur dazu, die Wucht der Faust ins Ungemessene zu steigern.
Das liegt nun hinter uns, schwarz und unheimlich wie ein Wald, zur Nacht durchschritten. Wer könnte nicht verstehen, daß da der Atem schneller weht? Wir stürzten uns wie Taucher ins Erleben und kehren verändert zurück.

Was ging am Grunde vor? Träger des Krieges und seine Geschöpfe, Menschen, deren Leben zum Kriege führen mußte und durch ihn in neue Bahnen, neuen Zielen zu geschleudert wurde – was waren wir ihm, und was war er uns? Das ist eine Frage, die heute mancher zu beantworten sucht. Mit ihr beschäftigen sich auch diese Blätter.

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