Regietheater Dortmund: Klassizistisch und Infantilisierend

Am gestrigen Abend besuchte ich zum ersten mal seit dem erreichen des Erwachsenenalters eine Oper. Als jemand, den Musik im allgemeinen nicht sonderlich tief berührt, befand ich es trotzdem für wichtig sich auch mit dieser Kulturform auseinander zu setzen. Als Einstieg wählte ich mir (wobei ich mir durchaus vorwerfen lasse, dass es einfachere Erstlingsstücke gegeben hätte) das Rheingold aus dem Ring des Nibelungen von Richard Wagner. Zum einen, weil die Tetralogie dieses Jahr zum ersten mal vollständig in Dortmund aufgeführt wird, zum anderen, da diese Stücke wohl zu den zentralsten der deutschen Schöpfungen gehören und sich auch wiederum selbst mit germanischer Mythologie auseinandersetzten. Ich war also gespannt zusammen mit meinem Kompagnon einen bedeutenen Teil der Kulturgeschichte unseres Landes kennenzulernen.

Leider hatte ich die Rechnung dabei ohne das Regietheater gemacht. Ich verstehe den grundsätzlichen Ansatz bestimmter zeithistorischer Werke durch kleine Anpassungen auch einem modernen Publikum verständlich machen zu wollen. Was ich nicht verstehen kann ist, wie sich manche Bühnenregisseure die Dreistigkeit erlauben können fundamentale Eingriffe in das Originalwerk vorzunehmen, die ursprüngliche Motive und Handlungen verkehren. Wenn man der Meinung ist eine bessere Oper konzipieren zu können, dann sollte man dies doch bitte auch tun und nicht unter falschen Vorwänden Besucher zu einem Stück locken, welches auf linksgedreht wurde.

Ich komme damit klar, wenn in einer Kulturmetropole wie Berlin oder bei den Bayreuther Festspielen Variationen probiert werden oder gewisse Teile des Stückes auch kritisch dekonstruiert werden, solange eine Grundlast von Uraufführen dem neuen Publikum zur Verfügung steht, um das Stück an sich erst einmal selbst kennenzulernen, aber genau dies ist eben in der Kulturprovinz Dortmund nicht möglich, wenn schon die Premieren Dekonstruktionen sind, in denen Atomsprengköpfe, Knochenkeulen und iPads zusammen mit Steinzeitmenschen, Hochfinanzspekulanten und Obdachlosen mit Nettotüten auf der Bühne erscheinen und das Ende quasi gegensätzlich zum Original ist, weil der Regisseur das Gesamtkunstwerk des Ringes in eigenständige Stücke zerschneiden möchte. Ein Wert besteht nur für Dauergänger, die sich schon eindringlich mit dem Werk beschäftigt haben: Eine Art Gatekeeping der Kultur zugunsten reicher alter Säcke.

Schlimmer noch aber als diese Zerfetzung des Stoffes ist die moderne Kritik, die in diesem Stück versucht wurde. Für die Originaltreue müsste man zumindest zugute halten, dass in wagnerischer Manier klassischer Antisemitismus auf der Bühne zu sehen war. Ob das noch so ganz zeitgerecht ist, ist eine andere Frage…
Das die Klassen- bzw. Herrschaftkritik Wagners aber zu einer Antinuklearkritik verkommen ist offenbart aber gleich zweierlei: Der Regisseur Peter Konwitschny hat eine gezähmte Variante erzeugt von der sich keiner angegriffen fühlen kann, denn Macht durch Nuklearwaffen zu erlangen ist ebenso unpopulär, wie aus der Zeit gefallen. Man merkte, dass Konwitschny durch die Antiatomdemos geprägt wurde, ist er doch auch schon stolze 80 Jahre alt, was im übrigen auch dem Altermedian der Zuschauer entsprochen haben dürfte und den Bezug zur modernen Welt verloren hat. Trotz des größten Nuklearwaffenarsenals der Welt schafft es Russland nicht seinen kleinen Nachbar zu unterjochen. Eine Antikriegssymbolik mit zum Beispiel Taurusmarschflugkörpern, hätte dabei zumindest den Ansatz einer Publikums- und Machtkritischen Aufführung entsprochen auch wenn es immer noch viel sanfter wäre, als die Klassenkampfrhetorik Wagners.

Gleichzeitig ist es auch eine Art des Infantilisieren des Publikums. Dem Zuschauer wird die Fähigkeit Zusammenhänge, welche nicht direkt in aktuellen Bildern präsentiert werden (ich mein ist klar: wo kein iPad ist, da versteht der moderne Mensch nichts mehr), zu erkennen abgesprochen. Analogien übersteigen heutzutage scheinbar die Auffassungsgabe der Besucher, was insbesondere dann interessant wird, wenn es sich um ein Stück wie „Das Rheingold“ handelt, welches eben selbst in seiner Urform in historisch-mythischen Zeiten gespielt hat, zu denen auch schon die damaligen Zuschauer keinerlei direkten Bezug hatten. Vielleicht verdummen wir also tatsächlich.

Diese Art der Aufführung ist für Neulinge, Interessierte und junge Besucher ungeeignet, wirbt mit großen Namen um billigsten Kitsch zu verkaufen und bleibt dabei auch noch völlig zahnlos. Nunja Herrscherkritik ist vielleicht auch einfach etwas schwieriger, wenn das Publikum ausschließlich aus diesen (dem Volk) besteht.

Wir haben uns (leider) schon im Vorhinein Tickets für die drei weiteren Abende besorgt, aber danach werde ich diesen ekelhaft gesättigten Boomerismus der sich Theater Dortmund nennt sicher nicht mehr finanziell belohnen.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. :)

    Deswegen gucke ich lieber TikTok

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